Plädoyer für einen konstruktiven Umgang mit dem Handelsabkommen zwischen den Mercosur-Ländern Südamerikas und der Europäischen Union.
- wolframs2004-blue
- 14. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Juli

Das im Dezember 20024 abgeschlossene Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Zollunion Südamerikas bestehend aus Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay setzt in Zeiten wachsender Zollbarrieren und rechtspopulistischen Protektionismus ein Zeichen. Es eröffnet Europa und Südamerika unzweifelhaft wirtschaftliche Perspektiven und Chancen und befördert eine (Wieder-) Annäherung zwischen zwei Regionen, die sich kulturell und politisch grundsätzlich nahestehen.
Es wäre sehr gut und wünschenswert gewesen (und ist es weiterhin!), wenn klarere und vor allem verbindlichere ökologische und soziale Zielsetzungen in diesem Abkommen hätten vereinbart werden können. Hauptkritikpunkte:
der Agrarsektor der Mercosur-Länder ist sehr wettbewerbsfähig, verbraucht aber sehr viele Pestizide und Flächen (Tropenwaldvernichtung)
die Rohstoffextraktion in der Region verursacht enorme Umweltschäden
die niedrigen/zT kaum vorhandenen Arbeits- und Sozialnormen in den Mercosur-Ländern fördern die Armut der Region und sind für unsere Arbeitsmärkte unlauterer Wettbewerb
Vor diesem Hintergrund kann ich die sehr kritische Haltung und Enttäuschung zum Beispiel der grünen Europafraktion und anderer progressiver Kräfte nachvollziehen. Nicht nachvollziehbar wäre aber, wenn es aus dieser Ecke nun zu einer fundamentalen Opposition (zB in Richtung: Deutschland und andere Mitgliedsstaaten sollen Ratifizierung verweigern) und zur Forderung nach einer kompletten Neuverhandlung käme. Das begründe ich wie folgt:
Das Abkommen wurde 25 Jahre lang verhandelt. Es kann und wird nicht neu verhandelt werden – niemand hat Nerv auf weitere 25 Jahre.
Wir müssen einsehen, dass man mit Handelsabkommen nicht alles lösen und regulieren kann. Die Mercosur-Länder sehen Teile der EU-Haltungen zu Sozialem und Umwelt als übergriffig an. Sie reagieren empfindlich auf Belehrungen und erhobene Zeigefinger.
Zumindest teilweise – derzeit mindestens Brasilien und Uruguay – können sie uns meiner Meinung nach glaubhaft entgegenhalten, dass sie aus eigenem Antrieb Sozial- und Umweltpolitiken vorantreiben. Sie brauchen dafür kein nudging durch ein „übergeordnetes“ Handelsabkommen mit uns.
Es gibt den behaupteten Automatismus Freihandelsabkommen –> steigende Agrarexporte -> steigende Tropenwaldvernichtung und Umweltschäden ohnehin so nicht. Brasilien zeigt seit einiger Zeit, dass Agrarproduktion und Tropenwaldvernichtung voneinander entkoppelt werden können und hat eine Vielzahl moderner und umweltgerechter Ansätze in der Landwirtschaft.
Von welcher abgehobenen Warte aus urteilen wird hier überhaupt ge- und verurteilt? Wir Europäer sind alles andere als ein Vorbild mit einer Agrarpolitik, die massiven Glyphosateinsatz zulässt, die einen enormen Energieverbrauch hat, die Trinkwasser durch Überdüngung und Gülleverklappung gefährdet und die massiv zum Insektensterben und Biodiversitätsverlust beiträgt.
Geopolitik und geopolitische Konkurrenz: Die Mercosur-Länder haben Alternativen und warten nicht ewig auf uns Europäer. Die USA waren immer schon da. Aber auch China ist längst angekommen und wird stärker werden, wenn wir diesen Ländern nicht unsererseits attraktive Angebote machen.
Last not least: Ökologen im selben Boot wie Deutschland-First-Nationalisten? Mit einer grundsätzlichen Ablehnung des Mercosur-Abkommens und mit der Forderung nach Neuverhandlungen würden Ökologen mit einem Mal Seit' an Seit' stehen mit der EU-Agrarlobby, die Protektionismus will und die auf ökologische Kriterien im Mercosur genau so pfeift wie in der EU. Und mit rechten Gruppen machen, die Trumps Ideen nahestehen.
Aus all diesen Gründen plädiere ich sehr dafür das Mercosur-Abkommen, das ja erst noch in Kraft und in Wert gesetzt werden muss (was Jahre dauern kann) jetzt zum Ausgangspunkt für weiteren und intensiven Dialog zu nehmen. Wir Europäer wollen die Zusammenarbeit zwischen den Regionen vertiefen, nicht nur den Handel. Wir brauchen einen pragmatischer Schritt-für-Schritt Approach, einen „Wandel durch Annäherung“. Wir nehmen die Mercosur-Partner so auf Augenhöhe wahr und schaffen damit auch einen Baustein für eine dekolonialisierte europäische Wirtschafts- und Handelspolitik. Aus meiner Sicht ist dies mittel- und langfristig mit Abstand am erfolgversprechendsten.
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