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Wofür seine Hand ins Feuer legen?

  • wolframs2004-blue
  • 23. Aug.
  • 4 Min. Lesezeit
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Schon von Mucius Scaevola („Linke Hand“) gehört? Das ist der junge Mann, der zwar seine linke Hand behielt, seine rechte jedoch verlor, als er sie ins Feuer legte. Und zwar für Rom, seine Heimatstadt und seinen Staat. Mucius hatte den etruskischen König Porsenna ermorden wollen, weil dieser Rom belagerte. Stattdessen wurde er festgenommen und sollte sterben. Um seine Stärke, seine Entschlossenheit und seine Ehrenhaftigkeit (und die der Jugend Roms) zu beweisen, hielt er daraufhin schmerzbefreit seine rechte Hand solange ins Feuer bis sie ein verkohlter Stumpf war. Der König zeigte sich beeindruckt, ließ ihn frei und brach die Belagerung Roms ab.

Auch wenn dies eine Legende ist, die auf historisch wackligen Füßen steht und die in erster Linie der Ertüchtigung und moralischen Festigung der römischen Jugend gedient haben dürfte, so stellt die alte Story eine aktuelle Frage: Lohnt es sich, die Hand für etwas und jemanden ins Feuer zu legen?


Zwei Gegenreaktionen nehme ich gleich vorweg: Jugendliche würden fragen:  Bist du krank Mann? Ich halte das keine Sekunde aus und weiß auch überhaupt nicht, was das soll. Mir fehlt nachher eine Hand und die Welt ist trotzdem so scheiße wie immer. Danke auch!“

Die intellektuellere Gegenreaktion würde an die Nazizeit erinnern. In den 30ern wurde der Jugend verordnet wurde, "flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl" zu sein. Wenig später, als der Krieg längst nicht mehr zu gewinnen war, wurde „fanatischer Widerstand“ befohlen. Sicher hat man der Jugend von damals viel von Mucius und seiner rechten Hand erzählt. Danke auch!


Ich frage nochmal: Lohnt es sich, Opfer für eine gute Sache zu bringen? Die Antwort auf diese Frage würden 99,9% der Menschen mit einem klaren „Ja!“ beantworten, Nun ziehe ich diejenigen ab, die sich selbst mit einer „guten Sache“ und die anderen mit dem „Opfer“ meinen … sie schwinden recht schnell dahin, die 99 Prozent.


Nehmen wir mal Jeff Bezos, der mit einem Vermögen von 244 Milliarden Dollar zu den reichsten Menschen der Welt zählt. Hat er damit Gutes getan? Jawohl, hat er. Er hat 2020 den Bezos Earth Fund gegründet, der bis 2030 zehn Milliarden für den Umwelt- und Klimaschutz ausgeben wird. Gut gemacht! Er erbringt echte Opfer. Viel mehr als andere Menschen. Also - absolut gesehen. Relativ gesehen sieht es so aus: sein Vermögen von 244 Milliarden steht ungefähr für all das, was Jeff getan hat in seinem Leben. Schließlich hat er ja vor allem Geld verdient und damit unter anderem eine Segelyacht für 500 Millionen und eine Hochzeit für 50 Millionen gekauft. Wenn die 10 Milliarden für die Stiftung für das Gute stehen, das er getan hat, ist Bezos zu rund 4% gut.

Wenn ich mich nun mal für einen logischen Augenblick in die Rolle des Weltenrichters versetzen dürfte, dann würde ich sagen. „Lieber Jeff, ich kann dir diese 4 Prozent nicht voll als Gut-Haben anrechnen. Du und ich, wir wissen beide ganz genau, dass du diese Summe zu einem gehörigen Teil nicht gespendet hast, weil du Gutes tun und die Welt retten willst. Du hast gespendet, weil es dir gesellschaftliche Anerkennung bringt. Also um deinetwillen. Hast die Stiftung in deiner großkotzigen Art folgerichtig nach dir benannt. Es war kein Opfer, sondern eine Investition. Bist und bleibst nun mal Geschäftsmann. Statt 4 Prozent kann ich dir hier und jetzt daher nur einen Prozentpunkt als „gut“ rechnen. Sorry!“


Dennoch bleibt festzuhalten: Es gibt diesen Drang, Gutes zu tun. Beziehungsweise das zu tun, was man selbst für das Gute, Schöne und Wahre hält. Es gibt das Bedürfnis, etwas „zurückzugeben“. Etwas beizusteuern, das (möglichst) allen zugute kommt. Dem Gemeinwohl zu dienen.

Und wenn es nicht gerade um eine direkte Spende an einen Bedürftigen, den man zufällig kennt, geht, dann ist die gute Tat immer auch von Prozessen, Mechanismen und Institutionen abhängig, die irgendwie organisiert werden und die Menschen überzeugen müssen.

Die Legende will, dass der Staat Rom so sehr überzeugt hat, dass Mucius ihm ohne eine Mine zu verziehen die Hand geopfert hat. Rom ist aber untergegangen. Ist der moderne, demokratisch verfasste Staat ein ähnliches Opfer wert? Viele verneinen das und das sind nicht nur Gruppen wie die Reichsbürger, die die Bundesrepublik erstens scheiße finden und zweitens bestreiten, dass sie überhaupt existiert. Was also dann? Der Anti-Diskriminierungsverein, der auf Kundgebungen einlädt? Eine Gruppe, die Patenschaften für Migrantenfamilien vermittelt, denen man Hilfestellungen zur Bewältigung der deutschen Bürokratie gibt? Die katholische Kirche? Die Jeff Bezos Stiftung? Die Blutspende beim Roten Kreuz? Der deutsche Astrologenverband? Oder Bewegungen wie die „effective altruists“, die nach eigenen Angaben evidenz- und vernunftbasiert nach Wegen suchen, anderen wirksam zu helfen? Oder bieten nicht doch auch der Tennisverein, der Leseclub und die wöchentliche Skatrunde hier und da Gelegenheit, Gutes zu tun?


All das kann, selbst wenn ich Meinungen dazu habe, offen bleiben. Es gibt unzählige Arten und Orte um zu helfen und sich einzubringen. Es ist wichtig, dass es diese Mitmach-Angebote gibt und dass sie ausgebaut werden. Sie sollten hilfsbereite Menschen ansprechen und mitnehmen. Mindestens ebenso wichtig aber scheint mir der Schritt davor: eine offenes und freundliches gesellschaftliches Klima, das einerseits keinen Zwang und Druck ausübt und das andererseits auch nicht nur die Selbstverwirklichung des Individuums im Wettbewerb mit anderen Selbstverwirklichern predigt. Ein Klima, in dem es möglich ist, nicht nur Unterschiede zu tolerieren, sondern auch Gemeinsamkeiten zu finden und auszubauen.


Dafür lohnt es sich, Opfer zu bringen. Es muss nicht gleich eine ganze Hand sein.

 
 
 

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